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Erinnerungen (Helmut Heinrich) 1945

Kürzlich wurde ich von einer meiner Enkeltöchter gefragt, wie ich das Kriegsende 1945 erlebt habe.

Dabei kam ich in meinen Erinnerungen natürlich auch auf das Dorf Berlinchen. Hier habe ich mit meiner Mutter und meinen Geschwistern bei Herrn Seelig vom 17. April 1945 bis Januar 1946 gewohnt. Durch Zufall entdeckte ich die Homepage der Gemeinde Berlinchen im Internet und habe alle Berichte das Kriegsende betreffend gelesen. Besonders die Erinnerungen der Herren Siegfried Struck, Willi Berlin und Martin Gädke waren für mich interessant.

Hier meine Meinung zu den einzelnen Berichten:

Erinnerungen Siegfried Struck, betr.: Landwirtschaft und Schule.

Herr Struck schreibt, er war zu diesem Zeitpunkt 9 Jahre alt. Ich war 12 Jahre alt, das heißt Herr Struck und ich müssen ein paar Monate zusammen in die gleiche Schule gegangen sein. Herr Struck schreibt die Schule war mit Flüchtlingen belegt und meint, dies sei der Grund für den einjährigen Schulausfall. Die Schule konnte nach dem 2.Mai gar nicht mehr bewohnt werden, weil sie bei den Kampfhandlungen um Berlinchen total zerschossen war.

Die von Herrn Struck erwähnte Notlösung in der Gastwirtschaft nahm den Schulbetrieb im September 1945 unter der Leitung von Herrn Wolfgang Streit als alleinigem Lehrer auf.

Herr Streit war ein äußerst symphatischer, zwar noch sehr junger, aber überaus tüchtiger Lehrer für uns. Unter seiner Leitung hat die Schule 1945 eine Weihnachtsfeier mit einem Krippenspiel in der Kirche aufgeführt, die für mich völlig unverständlich in keinem Erinnerungsbericht erwähnt wurde. Herr Struck nennt in seinen Erinnerungen die Herren Weiß und Brauer als erste Nachkriegslehrer in Berlinchen. Ich bin allerdings nur bis Januar 1946 in Berlinchen zur Schule gegangen und während dieser Zeit gab es in Berlinchen nur einen Lehrer und der hieß Wolfgang Streit. Und der hätte es durchaus verdient, in der Orts-Chronik namentlich erwähnt zu werden.


Erinnerungen Willi Berlin, betr.: Enteignung und DDR-Sozialismus.

Dieser Bericht hat mich am stärksten berührt, weil er 1. dem Schicksal meines älteren Bruders gleicht und weil ich 2. seinen Vater Paul Berlin sehr gut gekannt habe.

Die Familie des Bürgermeisters Paul Berlin hat 1945 mehrere Wochen mit dem gesamten Hofstaat mit Hütejungen, Pferde und sonstigem Viehzeug bei uns, also bei Seeligs auf dem Hof gelebt, weil das eigene Haus von den Russen vorübergehend beschlagnahmt wurde.

Ich vermute, dass Herr Willi Berlin sich in seinen Erinnerungen um ein ganzes Jahr vertan hat, was bei seinen fürchterlichen Erlebnissen durchaus verständlich wäre. Am 3. Oktober 45 war in Berlinchen noch kein Bauer enteignet. Über die zu erwartende Bodenreform wurde zwar lebhaft diskutiert aber durchgeführt wurde sie 1945 nicht.

Es ist völlig richtig, dass die 4 oder 5 Großbauern zwangsweise in die Kreisstadt kommen mussten. In Berlinchen war zu dieser Zeit ein ortsbekannter Kommunist zum Bürgermeister ernannt worden. Der Name dieses Herrn ist mir leider entfallen. Das war ein Dummkopf der absoluten Extraklasse und mit dem ihm übertragenen Amt hoffnungslos überfordert. Die Russen merkten ihren Irrtum bald und nachdem die Großbauern nach ein paar Tagen wieder nach Berlinchen zurück durften, wurde Herr Paul Berlin wieder ins Amt berufen und war zu diesem Zeitpunkt der uneingeschränkte Herr auf seinem Hof. Meine Eltern haben im Januar 1946 Berlinchen verlassen und sind von Wittenberge mit einem Flüchtlingstransport in den Westen gegangen und zu diesem Zeitpunkt war Paul Berlin Bürgermeister von Berlinchen und zwar als alleiniger Bauer auf seinem eigenen Hof.

Erinnerungen Martin Gädke „ Stein des Anstoßes“
Dieser Bericht bedarf in mehreren Punkten der Richtigstellung.

Was dieser Herr über den Stein des Anstoßes schreibt mag sicher zutreffen. Ich kann das nicht beurteilen. Zu meiner Berlinchnerzeit gab es diesen Stein noch nicht.

Seine Angaben zur späteren Pflege dieser Grabstelle sind mit Sicherheit ebenfalls richtig und darüber hinaus auch sehr lobenswert. Aber seine Angaben zu den letzten Kriegstagen in Berlinchen sind ganz einfach falsch dargestellt.

Kein Einwohner von Berlinchen ist einfach in den Wald geflohen, wir wurden von behördlicher Seite aufgefordert wegen der zu erwartenden Kampfhandlungen in den Wald zu gehen. Die Bauern hatten zu diesem Zweck bereits einfache Hütten aus Baumstämmen und Zweigen im Wald gebaut und mussten die bei ihnen wohnenden Flüchtlinge mitnehmen. Ebenso falsch ist, dass wir in der Nacht zum 3.5. ins Dorf zurückkehrten. Wir kamen alle schon am Nachmittag des 2.5. aus dem Wald zurück. Es ist durchaus möglich, dass einige Familien noch eine weitere Nacht im Wald blieben. Die kamen dann am 3.5.im Laufe des Tages ins Dorf. Kein Bauer kam bei Nacht aus dem Wald außer vielleicht dieser sonderbare Herr Gädke.

Bei der Story mit dem Panzer am Friedhof und dem damit verbundenen Ehrensalut des Offiziers habe ich erhebliche Bedenken wegen des Wahrheitsgehalts. Über so ein Ereignis wäre mit Sicherheit im Dorf gesprochen worden, was aber keineswegs der Fall war. Jedenfalls nicht im Hause Seelig, Mahnke oder Paul Berlin.

Völliger Unsinn ist, dass die Suche nach gefallenen Soldaten auf Veranlassung von diesem Herrn Gädke geschah. Tatsache ist vielmehr dass Mitte Mai durch Bürgermeister Berlin in Absprache mit der russischen Ortskommandantur eine Gruppe von Männern zusammengestellt wurde, die dann die Felder nach den Toten und nach Munition absuchten. Im Anschluss an diese Aktion durften die Bauern ihre Feldarbeit wieder aufnehmen. Das ist die Wahrheit Herr Gädke. Sie waren vielleicht dabei, aber niemals der Initiator.

Als völligen Unsinn möchte ich den Eintrag über die Verhaftung dieses Herrn Gädke bezeichnen. Kein Mensch wurde wegen seiner Zugehörigkeit zur HJ verhaftet und schon gar nicht unter Folter verhört. Wer hätte das auch machen sollen? Die DDR und damit die Stasi gab’s doch zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Die Verhaftung mag ja stimmen, aber dann aus irgendeinem anderen, wahrscheinlich kriminellen Grund. Wegen der Zugehörigkeit zur HJ hätten die Russen sonst mindestens 90% der deutschen Jugend ab dem Alter von 14 Jahren verhaften müssen. Im damaligen Deutschland waren bis auf ein paar Ausnahmen alle Jugendlichen von 10 bis 14 Jahren als so genannte Pimpfe im „Deutschen Jungvolk“ kurz DJ genannt und ab 14 Jahren wurden die dann von der HJ übernommen. Wegen der Mitgliedschaft in einer dieser Organisationen wurde meines Wissens niemand verhaftet, es sei denn er war hauptamtlich Angestellter der NSDAP und dann musste er mindestens Bannführer gewesen sein. Waren Sie das, Herr Gädke?

Ich lasse mich gerne berichtigen falls meine Ausführungen nicht stimmen sollten.


Mit freundlichen Grüßen

Helmut Heinrich