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Erinnerungen (Helmut Heinrich) 1945

Der erste Nachkriegs-Schultag in Berlinchen.

Im September 1945 wurden alle Eltern schulpflichtiger Kinder angewiesen ihre Kinder am nächsten Montag um 8 Uhr in die zur Schule umfunktionierte Gastwirtschaft zu schicken. Schreibzeug sei mitzubringen. Bei Seeligs wohnte damals außer der Familie Heinrich noch die Familie Nickert aus Berlin. Die hatten 2 Kinder die zur Schule mussten. Seelig hatte einen Hofhund und der war seit April jeden Tag von morgens bis zum Abend mit mir zusammen und ging mir nicht von der Seite. Als wir, Gisela Nickert, ihr Bruder Achim und ich am Morgen zur Schule gehen wollten, stand mein Prinz natürlich auch zum Abmarsch bereit. Meine Mutter meinte dann, dass sie den Hund einsperren muss, er würde sonst mit uns kommen. Prinz wurde also eingesperrt und wir gingen zur Schule.

Hier gab es natürlich erstmal großes Hallo, denn die Schule war ja für die meisten neu.

Dann meinte einer, der Lehrer hat wohl verschlafen. Es war inzwischen schon 9 Uhr vorbei. Der Schulraum war im Obergeschoß der Gastwirtschaft und als einer aus dem Fenster sah, fing der ganz laut zu lachen an und sagte: „ Das müsst ihr euch ansehen. Ihr lacht euch kaputt.“

Vor der Tür stand ein junger Mann mit Aktentasche und vor ihm stand mein Prinz. So wie der Mann auch nur einen Schritt zur Tür machte, knurrte Prinz ihn gefährlich an. Er rief uns zu, dass er der Lehrer sei und es sollte doch jemand kommen und den Hund wegschaffen. Ich ging also runter und versuchte meinen Prinz nach Hause zuschicken. Aber das war vergeblich. Und so kam es, dass mein Prinz an meinem ersten Schultag in Berlinchen mein Nebensitzer war. Er brauchte ein paar Tage um zu begreifen, dass er vormittags ein paar Stunden ohne mich auskommen musste. Aber er holte mich jeden Tag von der Schule ab. Und der Lehrer war Wolfgang Streit, ein sehr junger Mann, aber für uns ein sehr guter Lehrer. Er hat viel dazu beigetragen, dass sich das Leben im Dorf normalisierte. Die Schule organisierte unter seiner Leitung Weihnachten 1945 eine Weihnachtsfeier mit Krippenspiel in der Kirche. Ich war bei dieser Aufführung Melchior, einer der heiligen 3 Könige. Gibt es denn in Berlinchen niemand mehr, der sich an diese Weihnachtsfeier oder wenigstens an Wolfgang Streit, den damaligen Lehrer erinnert?
Der hätte es wirklich verdient in der Ortschronik namentlich erwähnt zu werden. In der Schule waren zwar die Flüchtlingskinder in der Mehrzahl, aber es waren auch viele Einheimische in meinem Alter dabei. Die können doch nicht alle schon verstorben sein.

Mit freundlichen Grüßen


Quelle: Helmut Heinrich (2011)