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Erinnerungen (Willi Berlin) Teil: 2

Enteignung und DDR- Sozialismus

Am 28.November 1945 war Willi Berlin aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Berlinchen zurückgekehrt. Dort musste er hören, dass der Hof seines Vaters kurze Zeit vorher, am 3.Oktober 1945, zusammen mit fünf weiteren Höfen im Dorf enteignet worden war. Willi Berlin erzählte:,, Mein Heimatdorf Berlinchen liegt in der Mark Brandenburg. Dazu sagt man ja auch die ,,Streusandbüchse“ Preußens. Der Boden bei uns ist sehr sandig und bringt deswegen nicht soviel Ertrag. Im Herbst, bei starken Wind, gibt es richtige Sandstürme. Wir sagten da früher:,, Da ist die ganze Mark unterwegs.“ Wegen des schlechten Bodens gab es viele große Bauern mit großen Fläche, größere als in anderen Regionen. In Berlinchen waren1945 etwa 300, vielleicht 400 Einwohner. Es waren 40,maximal 50Höfe.Davon hatten fünf Höfe im Dorf mehr als 100ha Land. Das waren schon große Bauern, wohlhabende Leute. Wir z.B. hatten schon in den 30er Jahren fließend Kalt- und Warmwasser und schon eine Zentralheizung. Das war etwas Besonderes damals. Als ich in den Krieg musste und Pferde von uns beschlagnahmt wurden, hat mein Vater einen Traktor gekauft. Das war der erste Traktor am Ort. Nach der damaligen Lehre waren wir aber nicht nur wohlhabend, sondern ,,Großgrundbesitzer“, ,,Großkapitalisten“ und ,,Junker“. Wir besaßen 113ha Wald, Wiesen und Ackerland. Das reichte aus, um als ,,Naziverbrecher“ und ,,Kriegshetzer“ beschimpf zu werden. Sie haben uns ohne jede Entschädigung alles weggenommen, unser Haus, die Scheune, das gesamte Land, unsere Felder, den Wald, unser Vieh und alles Gerät. Meine Oma sagte früher immer:,, Junge, Land und Sand kann dir keiner nehmen.“ Das hätte sie sich auch nicht vorstellen können, dass das mal anders kommt. Diese Enteignungen waren überall in der sowjetisch besetzten Zone, das Ganze hieß ,,Bodenreform“. Das klingt doch bis heute ganz harmlos. Sie haben alle enteignet, die mehr als100 ha Land besaßen und alle von ihren Höfen vertrieben.“

,, Unmittelbar nach Kriegsende war auf dem Territorium der damaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) eine Bodenreform beschlossen worden, die eine umfassende Landumverteilung an besitzlose Landarbeiter und Kleinbauern und an sogenannte Umsiedler (Vertriebene aus den Ostgebieten) zum Ziel hatte. Dazu war aus Sicht der KPD-Ideologen notwendig, Großgrundbesitzer, aber auch Großbauern entschädigungslos zu enteignen. Großgrundbesitz und preußisches ,,Junkertum“ waren die geborenen Gegner. Nach der Ideologie der Kommunistischen Partei Deutschlands waren sie es, die für den Faschismus und für Deutschlands Weg in das Verderben nach 1933 verantwortlich waren. Das Schauspiel, das vor staunendem Publikum gegeben wurde, fand unter großem Propagandagetöse statt und war choreographiert nach dem von den KPD-Politiker vorgegebenen Motto ,,Junkerland in Bauernhand“. Im Artikel 1 der am 6. September 1945 erlassenen Brandenburgischen Bodenreform- Verordnung hieß es:,, Die Bodenreform muss die Liquidierung des feudalen junkerlichen Großgrundbesitzes gewährleisten und der Herrschaft immer eine Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande darstellte und einer der Hauptquellen der Aggression und der Eroberungskriege gegen andere Völker war.“ In Berlinchen wurden zwischen 1945 und1948 mit fünf Höfen mehr als 10% der Bevölkerung entschädigungslos enteignet und vertrieben.

Willi Berlin erzählt:,, Mein Vater, Paul Berlin, war 16 Jahre lang Bürgermeister in Berlinchen gewesen. Während der Nazizeit kam der Landrat und forderte meinen Vater auf, dass er in die NSDAP eintreten solle. Mein Vater hat das nicht getan. Auch wir zwei Söhne waren nicht in der Hitlerjugend. Meine Mutter war auch nicht in der Reichsfrauenschaft. Keiner aus der Familie war also in irgendeiner Parteiorganisation. Das war auch etwas Besonderes. Damals, im Oktober 1945, als ich selbst noch in Russland in Gefangenschaft war, wurden die fünf enteigneten Familien von Berlinchen in die Kreisstadt nach Kyritz gebracht. Dort standen schon Züge bereit, die alle Enteigneten in ein Lager auf der Insel Rügen bringen sollten. Sie waren richtiges Freiwild geworden. Mein Vater kannte ja aus seiner Zeit als Bürgermeister den Landrat des Kreises Ostprignitz. Das war der gleiche Landrat, der ihm Jahre vorher geraten hatte in die NSDAP einzutreten. Dadurch konnten die fünf Bauern wieder zurückkehren zu ihren Höfen.

Willi Berlins Vater, Paul Berlin, kehrte im Herbst 1945 auf den enteigneten Hof zurück. Der Hof wurde in sechs Teile geteilt. Diese Teile wurden als sogenannte ,,Siedlungen“ an Flüchtlinge, aber auch Personen aus dem Dorf vergeben. Paul Berlin und der inzwischen aus Russland heimgekehrte Willi Berlin durften jeweils eine Siedlung, also einen Teil des eigenen Hofes, gegen Barzahlung kaufen. Willi Berlin erzählte:,, Nach der Enteignung gehörten wir ja nicht mehr zu Klasse der ,,Junker“ sondern zur Klasse der ,,Landlosen“. Nach dieser Logik konnten wir einen Teil unseres eigenen Hofes als sogenannte ,,Siedlung“ zurückkaufen. In der Siedlungsurkunde wurden mir 20ha Ackerland, 2ha Wiese und 5ha Wald zugesprochen. Damit wurde ich und auch mein Vater in das neue Grundbuch eingetragen; die alten Grundbücher von unserem Hof haben sie verbrannt. Das ein Enteigneter wieder auf seinem eigenen Boden siedeln durfte, war eine Ausnahme. Aber im Kreis Ostprignitz ist, wie gesagt, ganz besonders schlechter Boden. Entsprechend gab es viele große Höfe und entsprechend viele Enteignungen. Die Leute in den Dörfern, waren mit alldem nicht einverstanden, die meisten waren entsetzt. Vielleicht hat man sich auch deswegen anfangs gescheut, ganz hart die Vertreibung durchzusetzen. Unser Wohnhaus wurde geteilt, ebenso unser Vieh, die Scheunen, das Gerät; das andere wurde anderen Siedlern, anderen Familien zugewiesen. In unser Haus zog eine der Siedlerfamilien ein, eine Flüchtlingsfamilie. Mein Vater und auch ich wurden von diesem Mann häufig beschimpft, beleidigt und auch körperlich bedroht. Das war sehr schlimm.“

Im Spätsommer 1947 mehren sich dann die Hinweise, dass eine zweite Enteignung bevorsteht, diesmal mit den 2 Jahre zuvor zurückgekauften Siedlungen. „Auf einmal hieß es, dass Enteignete gar nicht als Siedler auf ihren Höfen bleiben dürften“. Viele Menschen aus dem Dorf wollten eine erneute Enteignung und die Vertreibung verhindern. Es gab Sitzungen mit den damals noch bestehenden politischen Gruppen im Dorf, der SED-Ortsgruppe, der CDU- und SPD-Ortsgruppe. Sie schrieben einen Brief an den Minister des Inneren des Landes Brandenburg, dass es unrecht sei, die Leute wieder zu enteignen und ihnen erneut die Siedlungen zu nehmen. Es unterschrieben Vertreter aller Gruppierungen im Dorf. Das nutzte alles nichts. Am 1. November 1947 wurde Paul Berlin der Ausweisungsbefehl zugestellt. Darin wird er „erneut und unwiderruflich“ aufgefordert, bis zum 5. November 1947 Berlinchen zu verlassen. Weiter heißt es „Mitführen dürfen Sie: Möbel und sonstige Haushaltsgeräte sowie persönliches Eigentum. Dieser Befehl muss nachgekommen werden, da sonst polizeiliche Zwangsmaßnahmen angewendet werden. Rückfragen, Gesuche, Anträge usw: haben zu unterbleiben“.